Ortstermin I - Zu Prozessbeginn vor dem Oberlandesgericht in Dresden
von Fred Kowasch, Dresden
08.09.2021
Kurz nach 7 Uhr geht im Dresdener Norden die Sonne auf. Es soll ein heißer Tag werden. Temperaturen von fast 30 Grad sind angesagt. Vor dem Gebäude des Oberlandesgericht haben sich zu dieser Zeit bereits zwei Dutzend Besucher eingefunden. Sie sind - vollständig - in Schwarz gekleidet, haben ein paar Regenschirme aufgespannt. Schwarze. Was sonst.
Regen wird es heute nicht geben. Dafür werden zahlreiche TV- und Videoteams erwartet, die den Prozeßauftakt filmen wollen. RTL, die ARD, WELT.TV, der russische Staatssender RT sind vor Ort. Nur das ZDF fehlt. Es ist der Tag des Prozeßbeginnen gegen Lina E. und drei weitere Angeklagte. Sie kommen - mutmaßlich - aus der linksextremen Szene Leipzigs. Und es ist, wie die Tageszeitung (taz) im Vorfeld so treffend schrieb, „der bedeutenste Prozeß gegen Autonome seit Jahren“.
Gegen halb acht werden die sächsischen Polizeibeamten, die alle eine massive Schutzausrüstung tragen, kurz unruhig. Zwei Gruppen Schwarzgekleidete biegen um die Ecke des Justizgebäudes. Unter den Armen tragen sie zusammengerollte Transparente und Stativtaschen. Sie sind an diesem Morgen mit einem Bus aus Leipzig gekommen. Und wollen jetzt zur Kundgebung auf die andere Straßenseite. Das Motto dort: ‚Trotz alledem - Für einen konsequenten Antifaschismus‘.
Wenig später wird vor dem Gerichtsgebäude die zehnseitige Pressemappe des ‚Solidaritätsbündnis Antifa Ost‘ verteilt. Ein Herr, der sich ‚Eckhard‘ nennt, nimmt freundlich und sehr professionell Gesprächswünsche entgegen. Währenddessen seine Kollegin ‚Marta Zionek’ bereits dem Team von RTL/VOX/n-tv ein erstes langes Interview gibt. Abschließend noch - weil sie der Kameramann freundlich bittet - für weitere Bilder vor dem Gerichtsgebäude auf und ab geht. Es soll 'Martas' Auftakt für einen sehr arbeitsreichen Tag werden. Bei dem selbst RT geduldig bedient wird.
Am rund 100 Meter langen Stahlgitterzaun, der die Kundgebung zur - stark befahrenen - Kopfsteinpflasterstraße hin abgerenzt, werden unterdessen Transparente befestigt. ‚#FreeLina‘ ‚Get Organised’, und ‚Wir sind alle §219a‘. Kameraleute spekulieren, wann und wie die Hauptangeklagte Lina E. - in der linksradikalen Szene mittlerweile verehrt wie eine Ikone - ins Gerichtsgebäude gebracht wird. Oder ob sie gar mit einem Hubschrauber kommt.
Der taucht dann auch auf am Horizont. Wie sich später herausstellen wird, begleitet er aus der Luft ‚nur‘ den Konvoi aus Polizeifahrzeugen. Der mit Lina E. zu einem anderen Eingang rast. Lina E. - der, so die Bundesanwaltschaft die diesen Fall zur Anklage gebracht hat - mutmaßliche Kopf einer 'kriminellen Vereinigung'. Einer Gruppe, die Andersdenkende - in den meisten Fällen Rechtextreme - schwarz vermummt (und in Überzahl) aufgelauert, mit Hämmern und Teleskopschlagstocken krankenhausreif geschlagen haben soll. Insgesamt geht es vor Gericht um sechs verschiedene Fälle. Wie es in der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft steht. Drei von vier Angeklagten sitzen allerdings nicht in Haft. Sie betreten den Verhandlungssaal durch einen Nebeneingang. Außerdem wird noch gegen fünf Tatverdächte aus ihrem - mutmaßlichen - Umfeld ermittelt.
Drinnen beginnt dann gegen 10 Uhr der Prozeß. Die Angeklagten werden von zahlreichen Unterstützern im Gerichtssaal mit Applaus empfangen. Draussen wird es ruhig. „Sonnen baden’, Punk-Musik hören, hin und wieder werden via Lautsprecheranlage von der Kundgebung her ein paar aktuelle Informationen aus dem Gericht durchgesagt.
Bis vor dem Gerichtsgebäude plötzlich Hektik aufkommt. Weil Vertreter des ‚Solidaritätsbündnis Antifa Ost‘ unter den Berichterstattern den NPD-Funktionär Sebastian Schmidtke ausgemacht haben. Schmidtke, wie er selbst in seine Kamera sagt, hier für einen Film über Linksextremismus dreht. Umringt von zahlreichen Polizeibeamten setzt er sich vor der Kulisse der linken Kundgebung in Szene. Nach einer halben Stunde verschwindet er.
Drinnen wird Währenddessen die Anklage verlesen. Eine Stunde lang. Viel mehr passiert am ersten Tag nicht. Bereits im Vorfeld hat das sächsische Oberlandesgericht bis in den März 2022 hinein seine Termine festgelegt. In der Regel soll jeweils Mittwoch und Donnerstag ab 9:30 Uhr verhandelt werden.
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Anmerkung:
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Tags: oberlandesgericht, Autonome, Connewitz, Dresden, Prozeßauftakt, Lina E., #freelina, Hammerbande