"Zeigen, was ist!" - Gespräch über die Dreharbeiten zu »Inside Hogesa«
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War die HogeSa-Demo in Köln der Startschuss für Pegida?
Eindeutig ja. Und sie war nicht nur für Pegida der Startschuss. Auch für Legida in Leipzig, die großen »Merkel muss weg«-Demos in Berlin, Pegida-NRW. Und, und, und. Letztendlich auch für den heutigen Erfolg der AfD.
Denn das Thema des radikalen Islamismus, der steigenden Terrorgefahr durch unkontrolliertes Einreisen von Flüchtlingen und Migranten – heute alles »Leib- und Magenthemen« der AfD –, hat zuerst »HogeSa« auf die Straße gebracht.
Zur Erinnerung: Macheten und Metallstangen. Und die Polizei steht fassungslos daneben. Es waren die Bilder einer brutalen Straßenschlacht zwischen Salafisten und Kurden am 7. Oktober 2014 in Hamburg, die in weiten Teilen der Gesellschaft für Empörung sorgten. Die den Ruf nach Selbstjustiz auf ein anderes gesellschaftliches Level brachten. Nur so ist der Zuspruch für die »Hooligans gegen Salafisten« zu erklären.
Unvorstellbar war zu dieser Zeit allerdings, dass sich fast 5.000 von ihnen nur zweieinhalb Wochen später in Köln, am 26. Oktober 2014, versammeln – und an einem Sonntag »in aller Ruhe« durch die Stadt »spazieren«. Auch wenn es tausende Anmeldungen über ihre Facebookseite gab – mit mehr als 1.500 hatten die Veranstalter nicht gerechnet.
Die breite gesellschaftliche Akzeptanz für die AfD und ihre Thesen haben letztendlich die »Hooligans gegen Salafisten« geschaffen. Sie waren der Rammbock gegen die Tabus der »political correctness«, dessen was als »politisch korrekt« galt. Sie haben öffentlich und sagbar gemacht, was zuvor Millionen dachten.
Zusammengefasst: Bei einem Einzug der »Alternative für Deutschland« in den Bundestag müssen sich deren Vertreter an erster Stelle bei den »Hooligans gegen Salafisten« bedanken. Sie haben letztendlich das Tor aufgestoßen ...
Sie haben führende Akteure der HogeSa nun über zwei Jahre begleitet und interviewt. Wie hat sich die Szene entwickelt?
Die Szene ist radikaler geworden. Vor allem rechtsradikaler. Und anschlussfähiger. Bis hinein in die – sprichwörtliche – Mitte der Gesellschaft. Das hat seinen Grund.
Idealere Entwicklungsbedingungen für eine neue politische Bewegung hat es seit Jahren nicht mehr gegeben. Hier der Staat, der – in den Augen der Demonstranten – seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommt. Insbesondere im Bereich »Innere Sicherheit«. Und die, die das dann einfordern, auch noch arrogant als »Pack« beschimpft.
Auf der anderen Seite zu allem entschlossene Protagonisten. Vor allem im Jahr 2016 habe ich die Forderung nach »Abschaffung des Systems« mehrfach und direkt gehört. Dies war in der Zeit davor nicht so klar zu vernehmen.
Was hat Sie eigentlich persönlich motiviert, sich so intensiv mit dem Thema zu befassen?
Soziale Bewegungen – die sprichwörtliche Macht der Straße – haben mich immer schon interessiert. Seitdem ich 15 bin. Vielleicht auch, weil ich persönlich mitbekommen habe, welche gesellschaftsverändernde Kraft so einem Prozess der Rebellion innewohnt. Da gewinnt man einen Sensor dafür, wenn die Macht der Straße plötzlich wieder vibriert. Unabhängig davon, wie man zur politischen Grundausrichtung von HogeSa, Pegida oder Legida persönlich steht.
Vor der Berichterstattung in »Sport inside« über die politische Radikalisierung der Hooligans habe ich mich 2011 und 2012 für die Sendung sehr intensiv mit der Ultra-Bewegung im deutschen Fußball beschäftigt.
Jahrelang habe ich dort einem Redakteur in den Ohren gelegen: »wir müssen da was machen«, »da kommt was«. Hängt auch damit zusammen, dass ich selber zum Fußball gehe, manchmal auch zu Auswärtsspielen fahre.
Es war allerdings nicht so einfach damals, Ultras zu finden, die mit Journalisten reden. Darauf kommt es ja an. Einen Film zu machen, in dem die Leute zu Wort kommen, um die es geht. Alles andere interessiert mich nicht.
Schlussendlich waren wir die ersten, die das Thema auf den Bildschirm gebracht haben. Acht Tage vor dem allseits bekannten DFB-Pokalspiel zwischen Borussia Dortmund und Dynamo Dresden, als im Gästeblock ein paar Leuchtfackeln brannten. Das nennt man dann schlicht und einfach »Reporterglück«.
Einen Monat später haben wir das Thema »Pyrotechnik in der Fankurve« umgesetzt. Hätte nicht gedacht, dass man daraus neun spannende Minuten machen kann. Einigen Kollegen – vor allem in der Sportschau-Redaktion – hat dieser Film nicht so gut gefallen. Wäre ihnen zu einseitig gewesen. Bei vielen Ultras hingegen kam der Film gut an. Hörte ich. Auch hier, »zeigen, was ist«, die Beteiligten zu Wort kommen lassen.
In den Monaten darauf fielen mir am Rande von Spielen – zum Beispiel bei den Krawallen zwischen Dortmund und Schalke, die ich am 20. Oktober 2012 selbst mit einer kleinen Videokamera drehte, vermehrt Althools auf. Das fand ich interessant, da ich Hooligans – ihr Leben und ihre Motivation – ja noch aus den 80er und 90er Jahren kannte.
Was Insider sicher wissen: Bei den Hools tummeln sich neben Arbeitern eben auch angehende Ärzte, Rechtsanwälte und Polizisten. Und: bis heute ist die Rolle der Hooligans bei der Revolution von ’89 nicht wirklich erforscht. Denn die Lage auf der Straße war – auch wenn die offizielle Geschichtsschreibung es anders darstellt – in den ersten Oktobertagen in Dresden, Leipzig und Plauen alles andere als friedlich. Auch hier spielten Hooligans, spielte ihre Gewalt gegen DDR-Polizisten und Staatssicherheitsbeamte eine nicht unwesentliche Rolle.
Birgt die »dichte Beschreibung« einer solchen Szene nicht die Gefahr, dass diese dadurch eine Bühne erhält?
Diese »Gefahr« gibt es immer. Würde im Umkehrschluss aber auch bedeuten, nicht über eine Streetgang oder Graffitisprayer zu berichten, sie mit der Kamera hautnah zu begleiten. Was ich vor Jahren für die »ZDF.Reporter« getan habe.
»Zeigen, was ist«. Das ist meine Berufsauffassung. So nah und unverfälscht wie möglich an die Wirklichkeit heranzukommen. Genau aber das ist für mich der tiefere publizistische Sinn. Den Finger sprichwörtlich »in die Wunden« zu legen. Mehr als zum Nachdenken anzuregen, können wir Filmemacher nicht erreichen.
Nähert sich ein teilnehmender Beobachter der Szene nicht auch an? Ich sage das jetzt ganz subjektiv und ohne politische Bewertung: Captain Flubber wirkt ja sogar sympathisch und selbst ein Dominik Roeseler, der Initiator der ersten HogeSa-Demo in Köln, gibt sich im direkten Gespräch mitunter selbstkritisch.
Sie spielen damit auf verschiedene Szenen an, die Sie am 9. Oktober 2016 am Rande einer Kundgebung in Dortmund selbst miterlebt haben. Sie werden möglicherweise Einzug in meinen Dokumentarfilm »Inside HogeSa« finden, an dem ich gerade arbeite.
Meine Erfahrung ist: aus der Nähe wirkt alles wesentlich entspannter. Wenn man sich vernünftig vorstellt, ihnen nicht gleich die Kamera ins Gesicht hält, ihnen zuhört, dann kommt auch etwas zurück. Offenheit. Ich stelle – in der Regel – ja offene Fragen. Mir geht es nicht um Vorhalte nach dem Motto: Was bist Du für ein »böser Rechter«? Ich höre zu. Das macht sonst kaum einer. Deshalb reden einige mit mir.
Sind Teile der Medien durch ihre Sensationsberichterstattung nicht die Werbeagentur der Hools?
Wieso? Große Teile der Medien können ja nicht mal einen Ultra von einem Hooligan unterscheiden. Das hat man ja in »Reinkultur« nach den Ereignissen vom 26. Oktober 2014 in Köln gesehen. Sondersendung folgte auf Sondersendung, Talkshow auf Talkshow. Es wurde viel geredet, meistens völlig kenntnisfrei. In ihrer publizistischen Arroganz sind viele Medien – vor allem im TV und das nicht nur in diesem gesellschaftlichen Spannungsfeld – unfähig oder unwillig, differenziert zu berichten.
Den Hools ist das ohnehin längst egal. Sie haben ihre eigenen Medien. Sind auf Facebook oder VK (eine Art russisches Facebook) unterwegs, kommunizieren über Whatsapp. Für die etablierten Medien haben sie – wenn überhaupt – nur Verachtung übrig.
Sind durch HogeSa nicht völlig neue Politiker in die Öffentlichkeit getreten?
Ja. Wenn man sie denn Politiker im herkömmlichen Sinn nennen will. Aber eins ist klar: Dominik Roeseler, Tatjana Festerling, Edwin Wagenveld und Michael Stürzenberger wurden durch HogeSa-Veranstaltungen bundesweit bekannt. Weil sie sich im Gegensatz zu den meisten anderen Teilnehmern auch öffentlich äußerten.
Andere – insbesondere die rechtsgerichteten Hools in der HogeSa-Gründungsgruppe – haben dadurch eine tiefere Politisierung erfahren. Sie haben gelernt, wie man Demonstrationen und Kundgebungen anmeldet und durchführt. Aber auch, wie man gegen polizeiliche Verbote rechtlich vorgeht. Wie man – mit den früher so verfeindeten Hoolgruppen anderer Vereine – gemeinsame politische Aktionen abspricht und durchführt. »In den Farben getrennt, in der Sache vereint« – dieser Slogan kommt ja nicht von Ungefähr.
Hools als politische Akteure – ist das nicht ein Widerspruch?
Warum? Einige von ihnen sehen sich spätestens seit dem lauen Oktobersonntag von Köln als eine Art politische Avantgarde. Für Protest und Veränderung in der Gesellschaft. Das bedeutet – nach ihrer Wahrnehmung – auch die öffentliche Sicherheit in ihre eigenen Hände zu nehmen. Ob es nun der Ordnungsdienst bei den Demonstrationen von Pegida und Legida war (und ist), oder es die Bürgerwehren in einzelnen NRW-Städte (Köln, M’gladbach, Bielefeld) nach den Übergriffen von Migranten, Asylbewerbern und Flüchtlingen Silvester 2015/16 in Köln sind. Dennoch war der Preis dieser Aktionen für die Hools hoch. Nach einer anfänglichen Phase der Irritation haben die Sicherheitsbehörden inzwischen doch sehr massiv reagiert.
Aber auch auf der anderen – der »linken« Seite – haben sich mittlerweile aktive Hooligangruppen herausgebildet. Bei St. Pauli gab es sie – im Umfeld der Hafenstraße – ja immer schon. Relativ neu sind Gruppen in Bremen und Leipzig.
Hat HogeSa eine Zukunft?
Das ist schwer vorherzusagen. Nach wie vor bestehen die alten Kontakte. Einige der Gründungsmitglieder sind mittlerweile auch zerstritten, haben andere Gruppen (wie »Gemeinsam Stark e.V.«) gegründet. Andere wiederum haben sich – auch nach massiven Einschüchterungsmaßnahmen militanter »Antifa«-Gruppen – zurückgezogen.
Auch zeigt der Staat – zumindest beim Thema »Radikale Salafisten« – nun Präsenz. Die Durchsuchungen und Vereinsverbote, auch das Gerichtsverfahren gegen den radikalen M’gladbacher Prediger Sven Lau sind – meiner Einschätzung nach – Reaktionen der Behörden auf die massiven HogeSa-Proteste. Wie ernst die Behörden HogeSa und das Umfeld nehmen, zeigt bereits ein kurzer Blick in den Bundesverfassungsschutzbericht 2015. Wörtlich heißt es da: »Die Teilnahme unterschiedlich großer Personengruppen aus der Hooliganszene an solchen Kundgebungen zeigt, dass eine signi kante Anzahl Hooligans durchaus gewillt ist, sich für politische Aktionen einzubringen.«
Und: Die Szene ist jederzeit – auch kurzfristig – mobilisierbar. Das hat man am 9. Januar 2016 in Köln gesehen, als bei der bisher größten Pegida-NRW-Demonstration von geschätzt 2.500 Teilnehmern die Hälfte Hooligans waren. Auch die Ergebnisse der Wahlen zum Bundestag 2017 oder zum Landtag in Nordrhein-Westfalen werden späte Erfolge für HogeSa sein. Passiert nichts komplett Unerwartetes, wird die AfD in beide Parlamente einziehen. HogeSa – und die Nachfolgeorganisation »Gemeinsam Stark e.V.« – ist und bleibt ihr radikaler Arm der Straße. Denn einer muss – in ihren Augen – die AfD-Wahlveranstaltungen, Parteitage und Wahlpartys schließlich schützen.
Das Gespräch führte Richard Gebhardt - Hier gehts zur Bestellung von 'Fäuste, Fahnen, Fankulturen'
Screenshot: Fred Kowasch, Teilnehmer der Kundgebung 'Hooligans gegen Salafisten' am 15. November 2015 in Hannover
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"ZEIGEN WAS IST" - EIN GESPRÄCH ÜBER DIE DREHARBEITEN ZUR DOKUMENTATION »INSIDE HOGESA«
"Kaum ein anderer Journalist recherchiert seit der ersten Demonstration der »Hooligans gegen Salafisten« so intensiv in der Szene wie der Filmemacher Fred Kowasch. Für »Sport Inside« und die »Sportschau« produzierte er Stücke zur Entwicklung der HogeSa sowie zum ungeklärten Tod von Mike Polley. Kowasch, der nach einem Studium der Publizistik, Geschichte und Politik an der FU Berlin u.a. für die TV-Magazine »Monitor« und »Kennzeichen D« gedreht hat, beschäftigt sich mit den Themen Doping und Wettbetrug, Sportpolitik sowie den Fankulturen im Fußball.Für »Sport Inside«, eine preisgekrönte Sendung des WDR, drehte er auch ein vieldiskutiertes Hintergrundstück über die Infiltration von V-Leuten des Verfassungsschutzes in der Ultra-Szene. Heute betreibt Fred Kowasch den unabhängigen Online-Nachrichtendienst »interpool.tv« und arbeitet als Filmemacher und Produzent für Dokumentarfilme. Aktuell beschäftigt er sich im Rahmen einer Langzeitbeobachtung mit dem Arbeitstitel »Inside HogeSa« mit der politischen Subkultur der Hooligans.
Für diesen Film, der sich nicht auf die Auswertung von Internetseiten, die Einblendung von Experten-Statements oder Wiedergabe von Fernsehbildern aus zweiter Hand beschränkt, hat Kowasch Interviews mit zahlreichen Aktivistinnen und Aktivisten von HogeSa, »Gemeinsam stark e. V.« und Pegida geführt. Er hat umfassend im Umfeld ihrer Demonstrationen gedreht und die Teilnehmer beobachtet.
Seine Arbeitsweise zeichnet aus, dass er den Protagonisten selbst das Wort überlässt. Kowasch, ein präziser Kenner der Verhältnisse im Osten der Republik, will in klassischer journalistischer Tradition zeigen, was ist – und überlässt die politische Bewertung den Zuschauerinnen und Zuschauern. Es geht ihm vorrangig darum, den Gegenstand seiner Berichterstattung zu verstehen, nicht um eine direkte politische Einordnung. Kowasch fragt dabei, warum die HogeSa bis weit in die Reihen von Pegida oder Teile der AfD ihre Wirkung entfalten konnte.
Der Herausgeber dieses Buches hat Kowasch im Rahmen der Dreharbeiten auf Veranstaltungen und Demonstrationen mehrfach begleitet. Resultat ist eine kontroverse Auseinandersetzung über die Hintergründe der HogeSa, ihre politische Wirkung, über die Folgen und Risiken einer direkten Recherche in der Szene. Für dieses Buch zieht Kowasch ein Zwischenfazit seiner Beobachtungen aus unmittelbarer Nähe. Das Gespräch, das am 2.2.2017 geführt wurde, vermittelt somit nicht nur die Einschätzungen eines Insiders, sondern berührt für dieses Buch auch grundsätzliche Fragen des Journalismus in Zeiten von Pegida, AfD und HogeSa."
(Text Richard Gebhardt, Herausgeber)