Die Stille nach dem Fernsehpreis - Erlebnisse im Sportjournalismus (2)

von Fred Kowasch

Herbst 2007
ZDF-Morgenmagazin, zdf.reporter, ‚Sport inside‘ vom WDR. Es hatte für mich immer einen besonderen Reiz, etwas Neues zu machen. Bei einem neuen TV-Format von Anfang an dabei zu  sein. Diese Aufbruchsstimmung, diese Lust am Experiment, dieser gemeinsame Wille eine Sendung auch bekannt zu machen. Erleben, wie die eigene Arbeit wirkt.  

So auch bei ‚Sport inside‘. Engagierte Redakteure, die Lust auf ein Experiment hatten. Denen Widerstand - auch innerhalb der WDR-Sportredaktion (zu der auch die Sportschau zählt) - egal war. Eine Sendung, die eigene Themen setzte, sich dem investigativen Sportjournalismus widmete. So etwas gab es bis dato nicht in der deutschen TV-Landschaft. Die Zeit schien - nach all den Doping-Skandalen um das ‚Team Telekom’ - einfach reif dafür.  

Was hinzu kam: während Redaktionen wie Frontal 21 für Auftrags-Produzenten immer unattraktiver wurden (ja, investigativer Journalismus kostet viel Geld), konnte man als Produzent beim WDR aus dem Vollen schöpfen. Der Etat der Sportschau, aus dem ‚Sport inside’ im Wesentlichen finanziert wurde, schien gut gefüllt. Die Sendung - das ‚Baby‘ von WDR-Sportchef Steffen Simon. Ein cleveres Baby, das Schlagzeilen machte, für Fernsehpreise nominiert wurde, der Sporteventberichterstattung kritische Inhalte entgegensetzte. Faktisch damit die hohen Sportrechtekosten argumentativ legitimierte.  
fernsehpreis 2011 roter teppich1Roter Teppich beim Deutschen Fernsehpreis 2011 in Köln. Foto: Fred Kowasch. All Rights Reserved.

In einer der ersten Sendungen - ein medialer Paukenschlag. Deutscher Tennisprofi behauptet: Spiele abgesprochen und Wetten manipuliert. Obwohl die TV-Quote an diesem Montagabend im WDR-Programm sehr überschaubar war - das Medienecho danach ist es nicht. Eine halbe Seite in der BILD-Zeitung, der britische Guardian berichtet, selbst die US-amerikanische Tennis-Legende John McEnroe kommentiert unsere Story.  

Ein paar Wochen später legen wir mit neuen Details nach. Diesmal finden sich die größten Gegner im eigenen Haus. Ein Hausjurist, dem es offensichtlich um das Wohl eines von uns  namentlich benannten deutschen Tennisprofis geht. Ein Sportschau-Moderator, der (völlig unüblich) persönlich zur Filmabnahme im Schneideraum erscheint und unsere Recherchen kritisiert. Wenigstens waren ab da die Fronten klar.  

Immer deutlicher zeigt sich für mich damals auch: investigativer Journalismus ist faktisch falsch in der Sportschau-Redaktion. In einer Redaktion, wo an den Bürowänden verantwortlicher Redakteure Fußballtrikots hängen, die die Vorliebe für die jeweiligen Vereinsfarben klar dokumentieren. Wo ein Film über ‚Doping im Triathlon‘ im Oktober 2011 in der Sportschau nicht erscheint, weil sich der Verantwortliche (er sagt dies wörtlich vor Zeugen) nicht mit der Sport-Redaktion eines anderen ARD-Senders anlegen will. Weil diese gerade den Ironman auf Hawaii übertragen. Und, und, und.

 Zumindest in der Öffentlichkeit stimmt das Bild. 2009 und 2011 Nominierungen für den ‚Deutschen Fernsehpreis’. 2013 geht diese symbolträchtige Auszeichnung schließlich an die Redaktion. Davor: immer wieder Schlagzeilen. Immer wieder auch durch unsere Recherchen über den Doping-Betrug rund um das Team Telekom. Der rennommierte Sportjournalist Ralf Meutgens (mit dem ich über Jahre zusammen arbeite) und ich begleiten in dieser Zeit eng die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen dazu in Freiburg. Graben das ein oder andere wirklich pikante Detail aus. Da wir fast die einzigen sind, die ‚Akten fressen‘, Monate später immer noch nachhaken, sind wir auch bei diesem Thema bundesweit vorne mit dabei.  

Ebenso beim Fußballwettskandal, der an einem Donnerstag im November 2009 plötzlich aufploppt und die News-Schlagzeilen beherrscht. Tagesschau, Morgen- und Mittagsmagazin, Sportschau …. ‚Macht, was ihr wollt. Hauptsache wir haben was dazu’. Und so haben wir dann auch gleich einmal nicht nur aus einem Haftbefehl zitiert, sondern ihn auch Bildschirmfüllend ins TV gesetzt. Normalerweise geht so etwas nicht, greift § 353d StGB. Dürfte mittlerweile allerdings verjährt sein.  
wetten sportschau8 2
Aus einer journalistischen Intention, dem sprichwörtlichen Bauchgefühl heraus, hatten mein Kollege Benjamin Best und ich, zu diesem Thema monatelang vorher schon recherchiert. Waren beim Café King in Berlin-Charlottenburg zu Besuch, hatten auf eigene (finanzielle) Kappe mit einem Mafiaboss in New York gedreht. Dem ZDF waren wir (und mit uns die ARD) inhaltlich deshalb meilenweit voraus.  

Wie auch beim Thema der Fußballfanszenen, wo sich die Ultras zunehmend radikalisierten. Auf geradezu wundersame Weise mit uns als Redaktion erstmals vor der Kamera sprachen. ‚Sport inside’ hatte in der Szene einen wirklich guten Ruf. Später dann war die Renaissance der Hooligans ein Thema. Auch, wie Teile von ihnen sich mit den ‚Hooligans gegen Salafisten’ (HogeSa) politisch engagierten. Auch das hatte ‚Sport inside‘ prominent im Programm.  

Im Herbst 2015 dann die Zäsur. Wurde davor im Programm über Defizite im Schulsport, Baumängel in Turnhallen, unzureichend ausgestattete Vereine berichtet, so war dies plötzlich kein Inhalt von Relevanz mehr. Während der Deutschlandfunk und zahlreiche andere Medien - im Zusammenhang mit der Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten - kontinuierlich über Probleme der Unterbringung (und ihre Auswirkungen auf den Schul- und Vereinssport) berichteten, hieß es aus der ‚Sport inside‘-Redaktion nur: „Wir sehen das als Thema nicht“.  

Hatte die Redaktion plötzlich ihre Unabhängigkeit, ihren journalistischen Biss verloren?!  

Die Wirklichkeit abzubilden, verschiedene Meinungen und Einschätzungen zu Wort kommen zu lassen, keine falsche Rücksicht zu nehmen - so verstehe ich mein Handwerk.  

Ähnlich in der Folge bei anderen Inhalten. Wurde jahrelang der Umgang mit DDR-Dopern in der Sendung thematisiert, so auch hier: Plötzlich Stille. Als begründete Zweifel aufkamen, ob jeder Sportbetrüger in der Vergangenheit wirklich so ein unwissendes ‚Opfer‘ gewesen ist. Die ausgewiesenen Anti-Dopingexperten der Republik darüber in Streit gerieten. Pro und Contra in Reinkultur - ein journalistisches Aufregerthema par Excellence. Ein MUST für 'Sport inside'. Eigentlich. Und, und, und.

Wie dem auch sei: nach zehn Jahren war es wieder einmal soweit, weiter zu ziehen. Etwas Neues zu probieren. Die Filme nicht nur zu produzieren, sondern auch selbst zu vertreiben. Keine ARD mehr, kein WDR. Kein ZDF. YouTube, Amazon Prime, VIMEO und das Kino machen es möglich. Bisher habe ich diesen Schritt nicht bereut.

Hier geht es zu Teil 1: "Holt mir die Telekom!" - Meine Erlebnisse im Sportjournalismus (1)

+ + + + + + + + + + + + + + + +

Drucken