Gesundheitsrisiko Doping
Der Tod von Marco Pantani hat den Blick auf das Problem gelenkt, dass Rennfahrer mit dem Missbrauch von Dopingsubstanzen und Medikamenten massiv ihre Gesundheit gefährden.
"Seit Januar 2003 haben neun aktive und ehemalige Radsportler den höchsten Preis für Erfolg im Sport bezahlt, der denkbar ist mit ihrem Leben:
Seit Januar 2003 haben neun aktive und ehemalige Radsportler den
höchsten Preis für Erfolg im Sport bezahlt, der denkbar ist mit ihrem
Leben:
11. Januar 2003: Der Italiener Denis Zanette, 32 Jahre, wird während
einer Routinebehandlung beim Zahnarzt ohnmächtig und verstirbt kurze
Zeit später im Krankenhaus.
23. Februar 2003: Manfred Donike, 42 Jahre, als ehemaliger
Bahnradfahrer einer der Besten, wird tot in seiner Wohnung bei Düren
aufgefunden.
5. Mai 2003: Der 16-jährige italienische Amateur Marco Ceriani erleidet
während eines Rennens einen Herzanfall, fällt ins Koma und verstirbt im
Krankenhaus.
3. Juni 2003: Der französische Radprofi Fabrice Salanson, 23 Jahre,
verstirbt in der Nacht vor der Deutschland-Tour, an der er teilnehmen
wollte, im Hotelzimmer während des Schlafs.
14. November 2003: Der 24-jährige Italiener Marco Rusconi verlässt eine
Party und erleidet auf dem Weg zum Auto einen tödlichen Herzstillstand.
6. Dezember 2003: Der frühere spanische Radprofi José Maria Jiménez
stirbt im Alter von 32 Jahren in einer psychiatrischen Klinik in Madrid
an Herzversagen.
29. Dezember 2003: Der frühere niederländische Sprinter Michel Zanoli, 35 Jahre, stirbt an Herzversagen.
14. Februar 2004: Marco Pantani, 34 Jahre, italienisches Radsport-Idol, wird tot in einem Hotelzimmer aufgefunden.
15. Februar 2004: Der 21-jährige Belgier Johan Sermon geht früh ins
Bett, weil er am nächsten Tag eine lange Trainingseinheit fahren will.
Der Tod überrascht ihn im Schlaf.
Die jeweils zuständigen Staatsanwaltschaften, die in den verschiedenen
Fällen ermittelten, kamen zu übereinstimmenden Erkenntnissen:
Herzversagen als natürliche Todesursache, keine Fremdeinwirkung, kein
Nachweis von Dopingmitteln. In einigen Fällen wurden nicht erkannte
Vorschäden des Herzens als Ursachen diskutiert. Im Fall des
französischen Profis Fabrice Salanson hat die Familie des Toten
durchgesetzt, dass die französische Staatsanwaltschaft von La
Roche-sur-Yon weiter ermittelt. Bei Marco Pantani war eine Überdosis
Kokain für seinen Tod verantwortlich.
Ein Umstand eint diese Serie überraschender und früher Todesfälle auf
dramatische Weise: Acht der neun Männer starben nach derzeitiger
Kenntnis in Ruhephasen oder sogar im Schlaf. Für den renommierten
Kardiologen, Pneumologen und Sportmediziner Professor Hans-Willi Breuer
ist das "überhaupt nicht in Einklang zu bringen mit bisherigen
Erkenntnissen zum plötzlichen Herztod bei Sportlern". Der ärztliche
Direktor des
Malteser-Krankenhauses St. Carolus in Görlitz hatte bereits im Fall
Salanson Zweifel geäußert an der Begründung der Todesursache
(Vergrößerung des Herzens mit relativer Minderversorgung durch die
Herzkranzgefäße). Außerdem bezweifelte er, ob Salanson vor seinem Tod
ausreichend gründlich sportmedizinisch untersucht und betreut worden
sei. Es werde zwar, so Professor Breuer, unter Fachleuten diskutiert,
ob insbesondere Radsportler zu einer ganz speziellen Form von
lebensbedrohlichen Herzrhythmus-Störungen
neigen: "Aber die treten fast ausschließlich während Training oder Wettkampf auf."
Ähnlich besorgt äußert sich auch der führende europäische Spezialist im
Bereich der Herzrhythmus-Störungen im Sport, Professor Hein Heidbüchel.
Der Kardiologe der Universitätsklinik von Leuven in Belgien fordert
"eine exakte Durchführung von Elektro-Kardiogrammen im Laufe einer
sportlichen Karriere, um auch subtile Anzeichen für lebensbedrohende
Herzrhythmus-Störungen frühzeitig erkennen zu können". Für einen
direkten Zusammenhang von plötzlichem Herztod und Dopingmitteln wie EPO
gebe es zwar keine Daten; Heidbüchel verweist aber auf die Möglichkeit,
dass die Sportler durch Doping
ihre Trainings- und Wettkampfbelastungen derart erhöhen, dass daraus
verstärkt Herzrhythmus-Störungen entstehen könnten. "Eine bessere
Kontrolle des EPO-Missbrauchs würde helfen, tödliche
Herzrhythmus-Störungen zu verhindern. Aber bis diese Kontrollen
greifen, werden wir vermutlich schon vorher die Konsequenzen
jahrelangen Dopingmissbrauchs erleben."
{mospagebreak}Vor den Folgen jahrelangen Dopings warnt auch der
Internist und Sportmediziner Dr. Wolfgang Stockhausen aus Freiburg.
Schon im Jahr 2000 sagte er gegenüber der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung: "Die meinen Erkenntnissen nach vermehrte Einnahme von
Wachstumshormon und anderen Peptidhormonen, auch im Radsport, stellt
eine zunehmende lebensbedrohende und lebensverkürzende Gefahr dar."
Diese Gefahr scheint den Funktionären der Sportverbände nicht bekannt
zu sein anders ist kaum zu erklären, weshalb das seit 1997
existierende Nachweisverfahren für Wachstumshormone, entwickelt vom
deutschen Wissenschaftler Professor Christian Strasburger, bis heute
nicht zu den etablierten Dopingkontrollen zählt.
Es könnte allerdings auch sein, dass die Verbände an solchen Kontrollen
gar kein Interesse haben. Wolfgang Stockhausen war 13 Jahre als
betreuender Arzt im Radsport tätig. Während einer Weltmeisterschaft
Ende der 90er Jahre wurde er Zeuge, wie eine Blutkontrolle von
offizieller Seite mit bewusst verlängerter Vorwarnzeit angekündigt
wurde. "Da war für mich der Punkt gekommen, Konsequenzen zu ziehen.
Durch diese indirekte Legalisierung des Dopings sah ich für mich und
für ein seriöses Engagement in der Dopingprävention keine Zukunft mehr."
Ein anderes großes Thema hinsichtlich der gesundheitsschädlichen
Wirkungen des Dopings sind Depressionen und zwar nicht erst, seit
José-Maria Jiménez und Marco Pantani damit in Verbindung gebracht
werden. Andere Radsportler erlitten ähnliche Schicksale,
Selbstmordversuche und Selbstmorde hat es schon bei früheren
Generationen gegeben. Auch für ein Abgleiten in die Sucht nach der
Karriere gibt es viele Beispiele.
1999 berichtete Hans Michalsky, 1972 und '76 Olympiateilnehmer im
1.000-Meter-Zeitfahren und heute erfolgreicher Geschäftsmann, im
Deutschlandfunk: "Ich kenne viele Fälle. Die Leute leben heute schon
nicht mehr, sind durchgedreht, rauschgiftsüchtig oder alkoholabhängig."
Seiner Meinung nach waren psychische Erkrankungen schon damals ein
Problem im Zusammenhang mit Doping.
Depressionen oder verschiedene Formen einer Sucht als Spätfolge einer
Doping-Karriere? Wolfgang Stockhausen spricht von einer
Suchtverlagerung, die besonders durch das Hormon-Doping dramatisch
zugenommen habe. "Amphetamine und auch Peptidhormone wie hGH, EPO und
andere, haben ein unmittelbares Dosis-Wirkungsprinzip. Das heißt, man
erlebt die Leistungsverbesserung in direktem Zusammenhang mit der
Einnahme. Das unterscheidet die Peptidhormone von den Anabolika." Der
Mediziner kennt Äußerungen von Radsportlern, die nach Einnahme von hGH
am nächsten Tag "fuhren wie ein Moped". Im Umkehrschluss bedeute dies,
so Stockhausen, dass
man ohne diese Medikamente "ein Insuffizienzgefühl erleidet. Man fühlt
sich einfach schlapp, schlecht und damit minderwertig. Für einige
beginnt damit der Einstieg in eine Drogenkarriere".
Ähnliches schildern aktive Radprofis, wenn sie sich beim harten
Training schlecht fühlen. Da wird schnell mit Amphetamin nachgeholfen.
Hinzu kommt die Wahrnehmung, dass Erfolge offenbar nur noch mithilfe
von Medikamenten möglich sind lässt man die Mittel weg, ist der
Misserfolg vorprogrammiert. Ein Teufelskreis, der sich im Leben nach
dem Sport fortsetzt.
{mospagebreak}
Dieser Teufelskreis hat für den Heidelberger
Sportpsychologen Professor Hans Eberspächer zwei Ebenen: "Die Sportler
bekommen ein Identitätsproblem, wenn die Leistung nachlässt." Es gebe
für sie nur eine Identität, nämlich die des erfolgreichen
Spitzensportlers. Ohne die sportliche Leistung gerieten sie in eine
existenzielle Sinnkrise. "Dann setzen sie alles daran, diese
Einmaligkeit zurückzukaufen." Die zweite Ebene sei die
"Kompetenzüberzeugung". Es reiche nicht, objektiv gut zu sein und zum
Beispiel hohe Wattzahlen erreichen zu können: "Der Sportler muss auch
mental davon überzeugt sein, dass er gut ist." Wenn dann zu
Dopingmitteln gegriffen werde, fehle, sagt Eberspächer, "die
Kalibrierung. Hohe Leistung wird dann automatisch von Doping abhängig
gemacht. Und ohne Doping fehlt die Überzeugung, dass man gut ist."
Unabhängig davon besteht die Gefahr direkter körperlicher Abhängigkeit,
wenn über einen längeren Zeitraum Amphetamin und besonders Kokain
missbraucht werden. Kokain wird als eine Art Edel-Amphetamin seit
Jahren im Radsport benutzt. Als ein Bestandteil der Mixtur "Belgischer
Pott" wurde es offenbar in diesem Jahr auch beim Team Cofidis durch die
Behörden sichergestellt. Abhörprotokolle im Fall Cofidis dokumentieren
allem Anschein nach auch eine neue, alte Dopingmethode, die enorme
gesundheitliche Risiken birgt: Blutdoping.
Wurde dies in der Vergangenheit lediglich mit Eigenblut praktiziert
(autologe Bluttransfusion), wird jetzt eine weit gefährlichere Variante
bekannt: Man sucht sich einen geeigneten Partner mit identischer
Blutgruppe. Dessen Blut wird mit sauerstofftransportierenden Anteilen
angereichert, kurz vor dem Wettkampf entnommen und in die eigene
Blutbahn injiziert. Diese wandelnde Blutbank kann man entweder zum
Höhentrainingslager schicken oder auch zur EPO-Kur.
Es muss aus leistungsphysiologischer Sicht noch nicht einmal ein
Sportler sein, damit die erwarteten leistungssteigernden Effekte
eintreten. So braucht der edle Spender keine Dopingkontrolle zu
fürchten und darf sich trotz des erhöhten Hämatokritwerts (Summe aller
festen Bestandteile des Blutes, die nicht höher
als 50 Prozent sein darf) und nachweisbarem EPO in seinem Körper
vollkommen sicher fühlen. Die Empfänger von Fremdblut (heterologe
Transfusion) müssen ebenfalls kaum fürchten, aufzufallen.
Andreas Breidbach, Mitarbeiter im Anti-Doping-Labor in Los Angeles und
ein weltweit führender Spezialist für den Nachweis von EPO, sagt: "Die
Mengen an EPO, die mit dem Fremdblut transferiert werden, sind wohl zu
gering, um nachgewiesen werden zu können." Alles in allem also eine
vollkommen sichere Sache.
Von
"todsicher" zu sprechen, wäre allerdings zynisch, denn trotz gleicher
Blutgruppe bleibt die Gefahr einer allergischen Schockreaktion auf
körperfremdes Eiweiß. Und die kann im schlimmsten Fall durchaus tödlich
enden. Außerdem können Krankheiten wie AIDS, Hepatitis und
Creutzfeldt-Jakob übertragen werden. Bei Bluttransfusionen muss zudem
die Kühlkette aufrecht erhalten werden, will man Probleme vermeiden.
Das ist bei hochsommerlichen
Radsport-Veranstaltungen nicht immer einfach.
Schon nach kurzer Zeit kann es durch unsachgemäße Lagerung zu
Unverträglichkeiten kommen. Hellhörig sollten Kontrolleure spätestens
dann werden, wenn reihenweise Fahrer eines Teams wegen einer
"Lebensmittelvergiftung" oder einer "Virusinfektion" ausfallen.
Fälle dieser Art hat es genug gegeben, legendär ist jener der
ehemaligen PDM-Equipe, deren Fahrer während der Tour de France 1991
fast alle ausstiegen. Bei der Tour de France im vorigen Jahr erwischte
es sechs von neun Fahrern des Fassa-Bortolo-Teams, nachdem sie zuvor
bei vier Etappensiegen ihres Kapitäns Alessandro Petacchi mustergültig
gearbeitet hatten. Offiziell war dafür eine ansteckende Viruserkrankung
verantwortlich die aber weder auf Betreuer des Teams noch auf Fahrer
anderer Equipes übergriff.
Im Zuge der Ermittlungen rund um das Team Cofidis wurde auch bekannt,
dass offenbar bei mehreren Fahrern im Tour-Peloton des Vorjahres
statistisch unmögliche Übereinstimmungen von Blutwerten gefunden
wurden. Damals wurde darüber nichts vermeldet. Sattdessen ließ sich
Tour-Direktor Jean-Marie Leblanc mit den Worten zitieren: "Die
Jubiläums-Tour war ein großer Erfolg beim Publikum an der Strecke und
bei den TV-Quoten. Es gab keine Skandale und es war ein dramatisches,
spannendes Rennen wie seit zehn Jahren nicht mehr." Gut möglich, dass
hier der Schlüssel zur Lösung des Doping-Problems begraben liegt.