Keine Tour ohne Doping

Dem unerbittlichen Kampf gegen Doping hat sich Jean-Marie Leblanc nach eigenen Angaben verschrieben. Er ist Veranstaltungsdirektor der Tour de France, die jährlich geschätzte 15 Millionen Euro Gewinn macht. Nur 2,8 Millionen Euro werden in Form von Prämien für die wichtigsten Protagonisten, die Radprofis ausgegeben. Noch weniger ist es für den unerbittlichen Anti-Doping-Kampf, der erneut Opfer gekostet hat und der jede Menge Unklarheiten produziert.
Dem unerbittlichen Kampf gegen Doping hat sich Jean-Marie Leblanc nach eigenen Angaben verschrieben. Er ist Veranstaltungsdirektor der Tour de France, die jährlich geschätzte 15 Millionen Euro Gewinn macht. Nur 2,8 Millionen Euro werden in Form von Prämien für die wichtigsten Protagonisten, die Radprofis ausgegeben. Noch weniger ist es für den unerbittlichen Anti-Doping-Kampf, der erneut Opfer gekostet hat und der jede Menge Unklarheiten produziert.

Das erste Opfer war der Spanier Gorka Gonzales aus dem Euskatel-Team. Er überstand den Eingangsbluttest wegen eines überhöhten Hämatokritwertes nicht. Dieser beschreibt die Summe der festen Bestandteile des Blutes und darf nicht höher als 50 Prozent sein. Ist er höher, wird Doping mit Epo und/oder artverwandten Medikamenten vermutet, aber nicht bewiesen. Es wird wegen der Gefahr von Thrombosen eine Schutzsperre von 14 Tagen ausgesprochen. Bislang gab es drei dieser Tests, die vom Teamchef der Equipe Boulangère, Jean-René Bernaudeau stark kritisiert wurden. Die Fahrer seien telefonisch vorgewarnt worden, dass Kontrollen in den Hotels stattfinden würden.

Der Italiener Danilo de Luca aus der Saeco-Mannschaft wurde gebeten, abzureisen, da gegen ihn in Italien wegen Dopingverdachts staatsanwaltlich ermittelt wird.
Dann gab es den ersten positiven Doping-Fall: Dem Belgier Christophe Brandt aus der Lotto-Equipe wurde der Missbrauch des verbotenen Wirkstoffs Methadon nachgewiesen. Er könne sich das nicht erklären und sein sportlicher Leiter Hendrik Redant sagte, er könne sich nicht erklären, warum Brandt Methadon genommen haben sollte. Es wird als Heroin-Ersatzstoff in der Therapie von Süchtigen verabreicht, um sie stabil zu halten. Dass Methadon wie ein sehr starkes Schmerzmittel wirke, aber der euphorische Kick fehle, stimmt nur bedingt. In der ärztlichen Therapie wird es meist als Tropfen gelöst in Orangensaft verabreicht. Durch den dadurch langsamen Abbau fehlt das euphorische Gefühl, das eine Sucht verstärken würde. Wird Methadon aber intravenös appliziert, ist die Wirkung ähnlich einer Heroininjektion. Also auch mit euphorischem Kick.
Nach dem Ruhetag traten Stefano Casagrande, Italien, aus dem Saeco-Team und Martin Hvastija, Slowenien, aus dem Alessio-Team nicht mehr an. Ein Telefax der italienischen Behörden war im Büro der Tour-Organisatoren eingegangen aus dem sie entnehmen mussten, dass gegen beide Profis wegen Dopingverdachts ermittelt wird.

Doch ermittelt wird auch im selben Fall gegen zwei weitere Radprofis: Pavel Padrnos, Tscheche im U.S.Postal-Team und den Italiener Stefano Zanini aus der Quick-Step-Mannschaft. Eine entsprechende Benachrichtigung sei bislang von den italienischen Behörden nicht eingegangen, hieß es seitens der Tour-Organisation. Dabei meldete die französische Tageszeitung `Le Monde´ am 7. Juli, dass sich diese vier Fahrer am 27. Oktober in einem Doping-Prozess vor Gericht verantworten müssen. Sie waren bei der großen Razzia am 6. Juni 2001 während des Giro d´Italia aufgefallen.

Auch gegen den Italiener Andrea Peron vom Team CSC wird in dieser Sache noch ermittelt. Er findet sich mit Padrnos und vielen anderen auf einer Liste, die von verschiedenen Medien seit langem veröffentlicht ist.

Bislang weigern sich die Weltdopingagentur WADA und der Weltradsportverband UCI, die Anzahl der medizinischen Atteste, die im professionellen Radsport ausgestellt wurden, bekannt zu geben. Es gibt Sondererlaubnisse, mit einem erhöhtem Hämatokritwert oder Testosteronwert zu fahren. Weiter gibt es offenbar eine extrem hohe Zahl von Asthmatikern unter den Radprofis, die so Medikamente nehmen dürfen, die auf der Dopingliste stehen. Der betreuende Arzt des Teams Telekom, Lothar Heinrich, bezifferte die Anzahl der Asthmakranken in seinem Team im Jahre 2001 auf etwa ein Drittel. Von der Normalbevölkerung leiden etwa fünf Prozent an Asthma. Und er bestätigte auf Nachfrage, dass es im damaligen Team Telekom mehrere Radprofis gebe, die mit einem Hämatokritwert von über 50 Prozent an Rennen teilnehmen dürften. Dies sei genetisch bedingt. Der WADA-Code sieht vor, dass derartige Atteste nur von unabhängigen Ärzten, die zudem kompetent für das jeweilige medizinische Fachgebiet sein müssen, ausgestellt werden dürfen. Diesen Code hat die UCI bislang noch nicht unterzeichnet. Das macht durchaus Sinn, angesichts der Masse an Medikamenten, die von allen Teams nach Frankreich eingeführt worden sind. Vier Teams sollen noch nicht die Deklarationen für diese Medikamente unterzeichnet haben. Dies jedoch ist eigentlich Bedingung für eine Teilnahme an der Tour.

Für 27 verschiedene Medikamente sei eine Einfuhrgenehmigung von den Behörden verweigert worden. Unter den eingeführten Medikamenten, die von den Radprofis offenbar so dringend benötigt werden, sind Salbutamol und Kortison. Beide können jedoch, auch während der Tour, medizinisch verordnet werden.
Bei dem Diuretikum Lasilix, das zur Verschleierung von verbotenen Medikamenten bei Urinproben dienen kann, ist das schwer vorstellbar.

Ferner sind Ornithin und Cocarboxylase eingeführt worden. Ornithin dient dem Muskelaufbau und fördert die Regeneration der Leber. Das Co-Enzym Cocarboxylase unterstützt die Energiegewinnung aus Kohlehydraten und fördert die Synthese von Acetylcholin. Dieser Neurotransmitter ist für die Erregungsübertragung im Nerven-Muskel-Zusammenspiel verantwortlich. In Tablettenform sind beide aus dem Bodybuilding bekannt. Für die Radprofis liegen sie jedoch in der weitaus wirksameren Spritzenform vor.
Ebenfalls gut für die Leber ist Legalon. Normaler Weise wird es bei entzündlichen Prozessen oder einer Lebervergiftung nach dem Verzehr von Knollenblätterpilzen verordnet.
Carvasin wird offenbar auch benötigt. Als Medikament Dilatrend stammt es aus der Herzinfarkt-Therapie und ähnelt in der Wirkungsweise dem Nitro-Spray, das jeder Herzinfarktpatient mit sich führt. Offenbar auch viele Radprofis. Es hat gefäßerweiternde Wirkung und dient gleichzeitig dem Schutz des Herzmuskels vor Überlastung, weil es die Wirkung des Adrenalins am Herzen einschränkt. Effekte, die Radprofis vermutlich im Endspurt zu schätzen wissen.

Interessant ist auch das Medikament Pentoxifyllin. Es stammt aus der Geriatrie und wird zur Behandlung von Durchblutungsstörungen angewendet. Beides dürfte auf den Radsport schwerlich zutreffen. Interessant ist aber ein Effekt, der lange bei der Behandlung der koronaren Herzkrankheit unterschätzt wurde: Pentoxifyllin verbessert die Fließeigenschaften der roten Blutkörperchen. Dies kann lebenswichtig sein, wenn die Gefäße durch Krankheit verengt sind. Oder aber, wenn die Anzahl der roten Blutkörperchen durch Doping unnatürlich hoch ist. Dieses verschreibungspflichtige Medikament wird auch vom Hauptsponsor des Bundes Deutscher Radfahrer, einem Pharmaunternehmen, hergestellt.
Die Industrie scheint grundsätzlich wenig Interesse an der Unterstützung der Anti-Doping-Bemühungen zu haben. Noch in der Klinischen Forschung befinden sich die neuen EPO-ähnlichen Medikamente Dynepo und CERA, über deren Missbrauch im Radsport seit längerem spekuliert wird. Bislang war keiner der Hersteller bereit, den Anti-Doping-Forschern ein Referenzmedikament zur Entwicklung eines Nachweisverfahrens zur Verfügung zu stellen.

Eins sollte bei der Diskussion um das Thema Doping nicht vergessen werden: Ende Juni verstarb zwei Wochen nach einem Herzinfarkt der 28-jährige belgische Ex-Radprofi Steve Vermaut. Es war der zehnte Fall in etwas über einem Jahr, dass ein ehemaliger oder aktueller junger Radprofi an bislang unerklärlichem Herzversagen starb.

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