Blutdoping - Volle Ladung
Mit freundlicher Genehmigung dokumentieren wir den Artikel aus der Radsportzeitung TOUR 08/2006.
Die Fakten des spanischen Dopingskandals deuten darauf hin, dass
Blutdoping bei betrugswilligen Radsportlern derzeit besonders hoch im
Kurs steht. Wir beleuchten die Details und Hintergründe der Methode.
Mit freundlicher Genehmigung dokumentieren wir den Artikel aus der Radsportzeitung TOUR 08/2006.
Die "Operation puerto" war im Wortsinn ein blutiger Eingriff in den
internationalen Radsport. Ob er von dieser Operation jemals wird
genesen können, ist derzeit fraglich. Es hängt vermutlich davon ab, ob
der Radsport das überhaupt will. Und kann. Die Dopinggeständnisse des
Kölner Radprofis Jörg Paffrath 1997 sowie der Festina-Skandal bei der
Tour 1998 haben, das mus man jetzt feststellen, in der Szene nichts
bewirkt. Doch diesmal scheint die Lage anders zu sein. Möglicherweise
sticht erstmals das Argument, das eine derart abartige Dopingrealität
überhaupt erst hat entstehen lassen: Geld, Sponsoren und Medien
fürchten wohl ernsthaft, dass sich die offenbarte Parallelwelt des
Dopings negativ auf Werbewirksamkeit und öffentliches Interesse
auswirken könnte. Blutdoping als integraler Bestandteil des Radsports
ist nur schwer vermittelbar.
In den 1960er Jahren wurde die Manipulation des Blutes vermutlich
erstmalig im Sport angewendet. Der finnische Langstreckenläufer Lasse
Viren gilt seit seinen olympischen Erfolgen 1972 als einer der
Protagonisten des Blutdopings. Zu seiner Zeit absolvierten die Sportler
Höhentrainingslager, um die Auswirkungen des geringen Luftdrucks auf
den Körperstoffwechsel zu nutzen. Körperliche Arbeit in der Höhe
belastet erheblich stärker als im Flachen. Der Körper reagiert und
bildet verstärkt rote Blutkörperchen, die Erythrozyten. Diese sind für
den Sauerstofftransport im Blut verantwortlich und damit direkt für die
Leistungsfähigkeit. Das mit Erythrozyten angereicherte Blut, etwa 450
Mililiter, wird dem Sportler entnommen, die Gerinnung unterbunden und
dann zentrifugiert, um es in Blutplasma und Blutzellen zu trennen. Die
Blutzellen werden mit einem Stabilisator versetzt und sind, konstant
gekühlt auf zwei bis acht Grad Celsius, maximal 42 bis 48 Tage haltbar.
Diese Blutzellen werden dem Sportler passend zum Wettkampf als
Transfusion verabreicht. Eine Leistungssteigerung von fünf Prozent gilt
als realistisch. Bei einer Gesamtlänge der Tour de France von 3.500
Kilometern würde der Vorsprung gegenüber einem nicht gedopten Radprofi
rein rechnerisch 175 Kilometer betragen - fast eine Etappenlänge. Die
Leistungsdichte gerade im Spitzenbereich lässt indes Rückschlüsse zu,
wie flächendeckend die Methode genutzt wird, und die Ergebnisse der
"Operacion puerto" scheinen das zu untermauern.
Die Geschichte des Betruges
Bis Ende der 1980er Jahre war Blutdoping das Mittel der Wahl, um sich
in Ausdauersportarten illegal Vorteile zu verschaffen. Das änderte
sich, als das Nierenmedikament Erythropoietin, kurz EPO, auf den Markt
kam. EPO ist ein gentechnisch hergestelltes Hormon, das der Körper auch
selbst produziert, um die Bildung von roten Blutkörperchen anzuregen.
Damit war die Zeit des Höhentrainings vorübergehend passé, denn EPO
konnte sich der Sportler bequem jederzeit und überall spritzen. Und: Es
blieb den, obwohl besser und häufiger werdenden Dopingkontrollen
dennoch lange Zeit verborgen. Bis 2001 konnten die Dopingfahnder
körpereigenes EPO nicht von zugeführtem unterscheiden.
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Als
der Nachweis schließlich gerichtsfest gelang, mußten die Athleten ihr
Dopingprogramm umstellen. Zwar muß man annehmen, dass Radprofis die
Kontrollen durch oermanente und sehr gering dosierte EPO-Gaben
weiterhin unterlaufen, doch auch Blutdoping erlebt eine Renaissance. Im
Gegensatz zu früher wird allerdings auf Höhentraining verzichtet und
Blutdoping lieber mit EPO kombiniert, weil es einfacher zu handhaben
und punktgenau für den Wettkampf einzusetzen ist. Der Athlet unterzieht
sich einer "EPO-Kur", wie es in Sportlerkreisen heißt, und die
Blutparameter, die Aufschluß über die Leistungsfähigkeit geben, werden
kontrolliert. Nach etwa zwei Wochen haben sie ihren Höchststand
erreicht, das Blut wird entnommen und wie in der Hochzeit des
Blutdopings behandelt. In der Zeit nach der Blutentnahme finden keine
Wettkämpfe statt, damit sich der Körper erholen und das entnommene Blut
nachbilden kann. Zu hohe Belastungen würden sich bei der verminderten
Anzahl der Erythrozyten jetzt negativ auf den gesamten Organismus
auswirken. Bis zum Wettkampf werden die Blutkonserven gut und sicher
aufbewahrt.
Der Preis: Viel Aufwand, Geld ...
Mit einer speziellen Tiefkühltechnik, die enormen Geräteaufwand
erfordert, können Blutkonserven in Gefrierschutzlösungenauch zwei Jahre
und länger aufbewahrt werden. Blutplasma läßt sich ohne grossen Aufwand
einfrieren und jahrelang bei minus 20 Grad Celsius lagern. Bei den
hohen Summen, die für Blutdoping offenbar bezahlt werden, kann man
davon ausgehen, dass diese Technik auch eingesetzt wird. Zumal unter
den belasteten Ärzten echte Blutbankspezialisten sein sollen. Diese
Technik schützt die Betrüger auch vor positiven Dopingkontrollen: Eine
unangekündigte Trainingskontrolle könnte für den Athleten gefährlich
sein, wenn sie genau in die Zeit der EPO-Kur fällt, denn dann ist das
zugeführte Hormon möglicherweise nachweisbar.
Kann man die EPO-Kur in Verbindung mit Blutdoping übers ganze Jahr
verteilt planen, ist die Wahrscheinlichkeit gering, in einer
Trainingskontrolle aufzufliegen. Eine andere Möglichkeit besteht darin,
einen Verwandten als Blutspender zu rekrutieren. Der muss nicht einmal
Leistungssportler sein und braucht also auch keine
Dopingkontrolle zu fürchten. Seit allerdings der Nachweis von
Fremdblutdoping gelingt und prominente Radstars wie Olympiasieger Tyler
Hamilton und der Vuelta-Zweite Santiago Perez erwischt wurden, ist
diese Variante offenbar wieder verpönt. Ganz abgesehen davon, das bei
der Transfusion von Fremdblut Erreger wie HIV, Hepatitis oder
Kreuzfeldt-Jakob übertragen werden können.
Eigenblutdoping ist derzeit nicht nachweisbar, weil ausschliesslich
körpereigene Erythrozyten zugeführt werden. Zuverlässige Indizien, die
etwa das Alter der roten Blutkörperchen oder Lagerungsmerkmale
beschreiben und zugeführte von körpereigenen Erythrozyten
unterscheiden, sind noch nicht gefunden. Michael Ashenden, einer der
australischen Wissenschaftler, die den Test auf Fremdblutdoping
entwickelt haben, umreisst den aktuellen Stand: „Die Forschung zum
Nachweis von Eigenblutdoping steht noch ganz am Anfang und es ist viel
zu früh, darüber zu spekulieren. Es gibt Blutzellen, so genannte
Retikulozyten, die darauf hinwiesen, dass im Körper aktuell keine neuen
Erythrozyten gebildet werden. Der Grund dafür könnte eine
vorangegangene Bluttransfusion sein." Ashenden schränkt allerdings ein:
„Die Retikulozyten würden auch auftreten, wenn EPO missbraucht worden
oder ein Höhentrainingslager absolviert worden wäre, sei es real in den
Bergen oder künstlich im Unterdruckzelt."
{mospagebreak}Auch
für den Homburger Sport- und Transfusionsmediziner Stefan Mörsdorf sind
Retikulozyten "immer nur ein indirekter Hinweis auf Eigenblutdoping und
nicht hinreichend geeignet, um Doping zu beweisen". Allerdings hat die
systematische Erfassung von Blutwerten durch den Weltradsport-Verband
UCI offensichtlich dazu geführt, dass etliche Radprofis des EPO- und
Fremdblutdopings überführt werden konnten.
Die zuletzt positiven Tests auf EPO-Doping - etwa beim ehemaligen
Weltmeister und Phonak-Profi Oskar Camenzind - waren der Erfolg von
unangekündigten Zielkontrollen. Der für die Erfassung dieser Blutwerte
verantwortliche UCI-Mediziner, Mario Zorzoli, sieht genau darin den
Nutzen. Seiner Meinung nach sind auffällige Blutwerte allein kein
Beweis für Dopingvergehen, aber ein Hinweis dem nachgegangen werden
muss. Die Vorwürfe mancher Medien, die UCI sei im Besitz sicherer
Hinweise auf Blutdoping und würde diese nicht publizieren, sind
vermutlich übertrieben. Zwar hat sich die UCI in der Vergangenheit
nicht durch konsequentes Vorgehen gegen Doping hervorgetan, aber im
Fall des Blutdopings scheint ein neuer Wind zu wehen. Ob der die
Betrüger aus dem Sport fegen kann, wird die Zukunft zeigen. Die
Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) hat Blutdoping ebenfalls ganz oben auf
ihre Agenda gesetzt, stochert mit ihren derzeit diskutierten Maßnahmen
aber noch im Nebel. Das Verbot von Unterdruckzelten scheint wenig
sinnvoll und kontrollierbar, andere legale Methoden wie Höhentraining
müssten dann eventuell auch verboten werden.
Teamärzte von Profimannschaften sollten sehr grosses Interesse an
auffälligen Blutwerten haben. Durch den regelmäßigen Kontakt zu ihren
Fahrern könnten sie viel genauere Blutparameter ihrer Athleten
bestimmen, als die UCI es kann. Vielleicht liegt hier eine Chance für
die Teams, ihre Fahrer vertraglich stärker als bisher an zuverlässige
Teamärzte zu binden und besser zu kontrollieren. T-Mobile-Teamarzt
Lothar Heinrich beteuert jedenfalls auf Nachfrage, dass er im Rahmen
der regelmässigen Untersuchungen bei Jan Ullrichs Blutwerten nie
Auffälligkeiten beobachten konnte.
Sinnvoll wäre auch eine grenzüberschreitende Kommunikation der
Behörden, um Erfolge wie die "Operación puerto" zu wiederholen.
Allerdings ticken die Uhren in Deutschland noch anders als in Italien,
Frankreich oder jetzt auch Spanien. Blutdoping generell ist nicht
strafbar. Es verstößt gegegn kein geltendes Gesetz. Im dafür
zuständigen Arzneimittel-Gesetz (AMG) wurde es, obwohl das AMG wegen
der Dopingthematik novelliert wurde, offenbar vergessen. Ein Eingreifen
staatlicher Behörden bei Verdachtsmomenten ist in Deutschland somit
nicht möglich. Dass in Deutschland Doping-Netzwerke ähnlich dem
spanischen um Eufemiano Fuentes existieren, darf man vermuten. Es wäre
naiv zu glauben, dass diese Blutbank in Madrid die einzige im
internationalen Sport war. Auch Österreich hatte seinen
Blutdoping-Skandal bei den Olympischen Spielen in Turin. Und
Verbindungen von Madrid nach Österreich sind bislang nicht bekannt
geworden.
.... und gesundheitliche Risiken
Was die betrügenden Profi-Radsportler in ihrem Doping-Wahn offenbar
verdrängen, sind die Risiken für ihre Gesundheit - dabei hat zuletzt
der spanische Radprofi Jesus Manzano in der spanischen Sportzeitung AS
anschaulich beschrieben, was er nach einer Bluttransfusion erlebt hat
und wie er fast gestorben wäre. „Das sind genau die Nebenwirkungen, die
als septischer Schock beschrieben werden, wenn eine Blutkonserve
verabreicht wird, die mit Keimen infiziert ist", sagt Stefan Mösdorf.
„Wenn bei der Blutabnahme nicht im Wortsinn sauber, also steril,
gearbeitet wird, kann das leicht passieren." Eine weitere Gefahr, so
Mösdorf, berge die unsachgemässe Lagerung. „Wenn die Kühlkette
unterbrochen wird besteht die Gefahr, dass sich in der Blutkonserve
kleinste Gerinnsel bilden, die nach der Transfusion die Blutgefässe des
Empfängers verstopfen können." Ohnehin wird durch die zugeführten
Erythrozyten das Blut dickflüssiger, das Herz muss erheblich stärker
arbeiten, die Gefahr von Thrombosen steigt.
„Wenn damit extreme körperliche Belastungen und ein hoher
Flüssigkeitsverlust einhergehen, sind die Gefahren nicht mehr
abzuschätzen", warnt Mörsdorf. Direkte Lebensgefahr bestünde, wenn in
der Hektik bei einem Radrennen die Blutkonserven von Fahrern vertauscht
würden. Eine allergische Schockreaktion auf köperfremdes Eiweiss könne
die Folge sein - auch diesen versehentlichen Tausch von Blutkonserven
hatte der Ex-Profi Manzano bereits beschrieben. Zwischen Gerücht und
Wahrheit liegt im Radsport offenbar nur der Faktor Zeit.