Revolte in Ägypten - ein Tagebuch (II)

von Kristin Jankowski, Cairo

02.02.2011 - Tag 7
Ich spürte wie meine Schritte immer langsamer wurden. Es roch nach Rauch in der Luft, ich rieb mir kurz die Augen. Tränengas. Vor mir standen zwei beige Panzer, ich hörte Schüsse in der Luft. Mir kamen Verletzte entgegen. Blut floss über ihre Gesichter, sie hielte die Hände über ihre Wunden. Zahlreiche von ihnen hatten bereits ihre Verletzungen mit Mullbinden versorgt. Ich konnte aus der Ferne Steine fliegen sehen.
von Kristin Jankowski, Cairo (Teil 2)

02.02.2011 - Tag 7
Ich spürte wie meine Schritte immer langsamer wurden. Es roch nach Rauch in der Luft, ich rieb mir kurz die Augen. Tränengas. Vor mir standen zwei beige Panzer, ich hörte Schüsse in der Luft. Mir kamen Verletzte entgegen. Blut floss über ihre Gesichter, sie hielte die Hände über ihre Wunden. Zahlreiche von ihnen hatten bereits ihre Verletzungen mit Mullbinden versorgt. Ich konnte aus der Ferne Steine fliegen sehen.

Die Schreie der Menschen klangen panisch. Irgendwer klopfte ständig mit harten Gegenständen gegen eine Absperrung. Tack, tack, tack. Es dröhnte in meinen Ohren. Es war Mittwoch Abend, der 2. Februar 2010. Ich stand in der Nähe des ägyptischen Museums in Kairo vor dem sich Anti-Mubarak Demonstranten mit Pro-Mubarak Leuten blutige Gefechte lieferten.

Ein Mann kam mir barfüssig entgegen, seine Kleidung war dreckig, er hatte eine Kopfverletzung, er hatte Tränen in den Augen. Er betete und hielt seine blutigen Hände in den Himmel. Innerlich war ich für Minuten regungslos. Erstarrt.

Ich stand in der Menge der Menschen, die Steine an die Front trugen, die den Gehweg aushoben, die bluteten. Ich hatte das Gefühl, als ob ich mitten im Krieg stehen würde. Jedesmal wenn ich Schüsse in der Luft hörte, schaute ich an den Häusern hoch. Ich sah, wie jemand von einem Dach in der Dunkelheit verschwand. Ich drehte mich um und ging einige Meter zurück zum Tahrir-Platz.

Ahmed kam mir entgegen und nahm mich in den Arm. "Wo warst du ?" fragte er mich besorgt. Ich beschrieb ihm, was ich gesehen hatte. Ahmed humpelte, seine Hose war am Schritt aufgerissen. Nur einige Stunden zuvor hatte er einige Männer festgehalten, die für Mubarak und sein blutiges Regime kämpften. "Wir haben sie alle davon gejagt" fügte er hinzu. "Wir haben sogar einige Pferde eingefangen'. Dann lachte er auf.

‘Ihr Ägypter seid so ein mutiges Volk, ich bin so bewegt von den Männern und Frauen, die hier für Freiheit und Demokratie kämpfen", sagte ich ihm. Ich lächelte. "Du bist doch auch mutig, weil du hier mit uns gemeinsam stehst". Ich schüttelte meinen Kopf. Ich denke, es war nicht mein Mut, der mich wieder auf die Strassen trieb. Es war meine Angst um meine Freunde: "Ich bin Zuhause ausgerastet vor Sorge um euch. Ich musste einfach herkommen."

Am Mittag hatte ich das Haus verlassen, ich bin nur um die Strassenecke gegangen. Dort sah ich, wie grosse Steine durch die Luft flogen. Minutenlang. Es brannte an einer anderen Ecke. Die Pro-Mubarak Leute versuchten die Absperrung zum Tahrir-Platz zu stürmen. "Gib mir mal eine Zigarette" forderte ich einen einen schnauzbärtigen Mann auf. Er zog kurz an meinem Arm und schob mich unter einen Baum. "Bleib hier stehen. Hier ist es sicher." Er schüttelte immer wieder seinen Kopf. ‘Wir sind doch alle Ägypter. Warum machen sie das ?" Ich konnte ihm keine Antwort geben. Kurze Zeit später wurden zwei Verletzte vor ein Geschäft gelegt. Sie bluteten am Kopf. Einer von ihnen röchelte nach Luft.

Und plötzlich sah ich, wie eine Masse von Menschen in meine Richtung rannten.

Ich lief schnell um die Ecke und sprang in mein Haus hinein. Ich spürte wie ich zitterte. In meiner Wohnung angekommen, setzte ich mich auf die Matratzen, die wir in unserem Wohnzimmer ausgelegt hatten. Ich zog mir die Schuhe aus. "Geht es dir gut?" fragte mich Sarah, meine ägyptische Mitbewohnerin. Ich nickte.

Sie sah nicht mehr so blass aus. Rund eine Stunde zuvor ist sie mit ihrem Freund Ahmed nach Hause gekommen. Sie weinte und erzählte mir, dass sie vor Männern davon gerannt ist, die sie mit Messern verfolgten. Und dann zuckte ihr Körper. Sie verlor ihre Nerven. "Holt ein kaltes Handtuch", rief ich zu meinen Freunden, die in der Küche standen.

"Heidi, Heidi, komm schnell her." Heidi ist Pharmazeutin. "Hol Medizin, Sarah hat einen Schock." Heidi drehte sich um, griff nach ihrer Tasche. Dann öffnete sie Sarahs Mund und legte zwei Pillen zwischen ihre Lippen. "Das beruhigt ihre Nerven", fügte sie hinzu. Sarah verdrehte ihre Augen, Tränen flossen über ihre Wangen. Ahmed gab ihr etwas zu trinken und massierte ihre zitternden Beine. ‘Welcher Tag ist heute ? Dienstag oder Mittwoch ?" fragte ich Sarah. Sie antworte nicht.

Ich legte ein nasses Handtuch auf ihre Stirn. Sie drehte ihren Kopf hin und her. Ich sah, dass Ahmed Tränen in den Augen hatte. Kirolos, Roman, Brett und Ahmed trugen Sarah in ihr Schlafzimmer. Heidi machte Tee fuer Sarah und stellte das Glas auf einen kleinen Tisch. Ahmed streichelte über ihren Kopf. Roman und ich hielten unsere Hände auf ihren zitternden Körper. "Öffne deine Augen!" forderte ich Sarah auf. Eine Träne floss aus einem ihrer Augen. Dann schaute sie mich für einen Moment an. "Wie heisst unsere Katze ?" fragte ich sie.

Und tatsächlich: Sie lächelte für einen Moment. Dann lachten wir kurz auf und ich küsste ihre Stirn. Sie war wieder bei bei uns. Und dann brach sie in ein fürchterliches Weinen aus. "Es ist alles gut, es ist alles gut', sagte Ahmed, der ihre Hand streichelte. Ihm flossen Tränen über die Wangen. "Lass sie weinen". Sarahs Körper beruhigte sich. "Sarah, lass deine Angst aus dir. Weine so viel, wie du nur kannst." Sagte ich zu ihr.

Und das tat sie auch. Nach einigen Minuten schlief sie erschöpft ein.

Ich ging unter die Dusche - bis Kirolos an der Badezimmer Tür klopfte. "Die Polizei ist wieder auf dem Tahrir-Platz, sie sind nun mit Pferden und Kamelen dort um die Demonstranten anzugreifen." Ich wickelte mich in eine Handtuch ein und setzte mich vor den Fernseher, der dank Al Jazeera Live-Bilder vom Tahrir-Platz sendete. Ich sah wie Gewalt ausbrach. Wie Menschen Steine warfen, wie sie aufeinander einschlugen. Wie sie sich über den Platz jagten. Ich ging in mein Zimmer und zog mich an. Ich setzte mich zurück auf das Sofa. Und dann griff ich zu meinem Telefon.

Ich rief meine Freunde an. Die meisten waren Zuhause und verbaten mir, die Wohnung zu verlassen: "Es ist Krieg. Gehe nicht nach draussen." Und dann wählte ich Moshiras Nummer. Eine meiner besten Freundinnen. "Wo bist du ?' fragte ich sie. "Wir sind auf dem Tahrir-Platz. Ahmed, Naser, Ahmed und ich." Vier Freunde von mir. "Bitte kommt zu meiner Wohnung. Der Tahrir-Platz wird massiv angegriffen." sagte ich zu ihr. "Wir gehen nicht. Wir bleiben hier." Ich hörte Schreie im Hintergrund. "Moshira, bitte kommt zu mir', bat ich sie. "Nein" war ihre kurze Antwort. Ich rief bei Ahmed an und bat auch ihn, dass er gemeinsam mit meinen Freunden den Platz verlässt. " Kristin, wir können jetzt nicht gehen. Wir bleiben so lange hier, bis Mubarak und seine Leute verschwinden oder bis wir streben." Dann brach ich in Tränen aus. "Bitte kommt nach Hause. Ich habe solche Angst um euch", flehte ich Ahmed an.

"Es tut mir leid, wir können nicht gehen." Dann legte ich auf und schmiss mein Telefon auf die Matratzen. "Scheisse, sie wollen nicht gehen." Schluchzte ich. Roman strich mir über den Rücken. Kirolos und Heidi hielten sich fest im Arm. Kirolos weinte. Ich fluchte und zitterte. "Ich will nicht, dass diese Schweine meine Freunde töten."sagte ich. Ich rieb mir die Tränen aus dem Gesicht. Sarah nahm mich in den Arm: "Es wird alles gut, sie sind mutig, es wird ihnen nichts passieren." Dann atmete ich tief ein. Ich griff nach meiner Jacke, nahm meine Tasche. Ich zog meine Schuhe an. ‘Wo gehst du hin ?" fragte mich Heidi verschreckt. "Ich schaue nicht im Fernsehen dabei zu, wie meine Freunde zusammen geschlagen werden."

Ich band mir die Schnürsenkel zu. ‘Bist du wahnsinning ?' Du kannst jetzt nicht rausgehen", sagte Heidi. "Doch das kann ich', war meine plumpe Antwort. ‘Wollt ihr weiterhin fernsehen oder wollt ihr zu euren Brüdern und Schwestern gehen ?" Kirolos und Heidi schwiegen. Roman zog sich seine Schuhe an. Er wollte mit mir mitkommen. Wir knallten die Tür zu. Und dann schlurchten wir für einen Moment. Roman sagte mir, dass er gerade Todesangst habe. Aber er könne nicht Zuhause sitzen bleiben. Wir zündeten uns Zigaretten an und verliessen das Haus.

Auf der Strasse hatten sich kleine Menschentrauben gebildet. "Wir bleiben jetzt zusammen, Roman." Forderte ich ihn auf. Ich spürte seinen Arm an meinem Arm. Wir mussten nur zweimal um die Ecke biegen und dann wurden wir nach unserem Ausweis gefragt. Unsere Taschen wurden durchsucht. Hinter der Absperrung war der Tahrir-Platz. "Es tut mir wirklich leid, Kristin", sagte eine verschleierte Frau. Sie hielt meinen Ausweis in der Hand und durchwühlte mit der anderen Hand meine Tasche. "Wir müssen unser Land beschützen", fügte sie hinzu. Ich sagte ihr, dass sie genau das Richtige tue, Und dass es kein Problem sei, dass sie uns kontrollieren.

Überall auf der Strasse lagen Steine, Glassplitter. "Es ist alles ruhig hier' sagte ich zu Roman. Wir gingen über den Platz und dann entdeckte ich Ahmed. Ich winkte ihm zu. Als er auf mich zukam, merkte ich, dass mir Tränen in die Augen stiegen. Ich sah, dass seine Hose kaputt gerissen war und dass er humpelte. Er begrüsste Roman und dann nahm er mich in den Arm.

Er wischte mir die Tränen vom Gesicht. Ich sah, dass Roman weinte. "Ich habe mir solche Sorgen um euch gemacht", sagte ich zu Ahmed. Und dann kam der andere Ahmed auf uns zu. Er hatte einen verängstigen Gesichtsausdruck, ich nahm ihn in den Arm und dann sah ich, dass er auch humpelte. Als Moshira mich entdeckte, schrie sie mich kurz an und dann nahm sie mich in ihre Arme und küsste meine Wangen.

Am Abend sassen wir alle gemeinsam in unserer Wohnung, wir wussten, dass die Demonstranten die meisten Pro-Mubarak Leute vom Museum verjagt hatten.

Ich kochte Nudeln mit Tomatensauce. Ich war totmüde. Dann schlief ich auf den Matratzen im Wohnzimmer ein. Am Morgen schlief ich lange und Roman reichte mir Kaffee. Starken Kaffee. Wir hörte lautes Geschrei in unserer Strasse. "Gestern hat Mina angerufen und er hat dich gebeten, nicht das Haus zu verlassen. Ausländer werden vermehrt angegriffen', erzählte mir Roman. Auch Amr hatte mich kurz bevor ich eingeschlafen bin, eindringlich gebeten, nicht das Haus zu verlassen.

03.02.2011 - Tag 8
Es ist gerade Donnerstag Abend während ich diese Zeilen schreibe. Wir schauen Nachrichten, ich höre einen Hubschrauber, Heidi und Kirolos sitzen aneinandergekuschelt beinander. Brett, unser kanadischer Mitbewohner liegt auf den Matratzen, Er sorgt sich um seine ägyptische Freundin. Roman telefoniert mit dem ZDF. Er möchte sein Videomaterial loswerden. Sarah hat für uns alle Tee gekocht. Ahmed sitzt hinter mir und erzählt, dass er gestern fast angegriffen wurde, weil er ausländisch aussieht. Nur sein ägyptischer Ausweis konnte ihn schützen.

Ich habe das Haus heute nicht verlassen. Der Hubschrauber kommt zurück.

Ich versuche mich an die vergangenen Tage zu erinnern, die mir vorkommen, wie ein Alptraum. Draussen höre ich Schüsse.

Kristin Jankowski (29) lebt seit knapp zwei Jahren in Kairo, fünf Minuten vom Tahrir-Square entfernt. Sie hat mehrere Jahre für interpool.tv als Videojournalistin gearbeitet. In diesem Zusammenhang berichtete sie u.a. über die Proteste beim G8-Gipfel in Heiligendamm. Des Weiteren hat sie intensiv zum Themenkomplex des BND-Untersuchungsausschusses recherchiert und dazu zahlreiche Artikel veröffentlicht.

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